Bayern

Stadt startet Kampagne gegen Hasskriminalität

Mindestens 17 Prozent haben in der Stadt bereits einmal Rassismus erlebt. Was Betroffene berichten - und wie die Stadt das Problem mit einer neuen Kampagne bekämpfen will.


Nesrin Gül, Bürgermeisterin Katrin Habenschaden und Alexander Adler mit einem Plakat, das in den nächsten Wochen an noch mehr Stellen in München zu finden sein wird.

Nesrin Gül, Bürgermeisterin Katrin Habenschaden und Alexander Adler mit einem Plakat, das in den nächsten Wochen an noch mehr Stellen in München zu finden sein wird.

Von Laura Meschede

München - Ein Erlebnis ist Nesrin Gül besonders hängengeblieben. Es war kurz nach dem rassistischen Anschlag in Hanau, Gül war mit einigen Jugendlichen Burger essen, um über ein Filmprojekt zu sprechen, das sie gemeinsam umsetzen wollten. Die Stimmung war gut - bis plötzlich einer der Jugendlichen in Panik geriet. Was los sei, wollte Gül wissen. "Hier am Tisch sitzen nur Schwarzköpfe", sagte der Jugendliche. "Wenn jetzt so ein Typ reinkommt, wie in Hanau, dann sind wir die perfekte Zielscheibe."

17 Prozent der Münchner sind schon Opfer von Hasskriminalität geworden

Angst: vor Gewalt, vor Übergriffen, vor Anschlägen. Für viele Menschen in München ist dieses Gefühl Alltag. Und das hat einen Grund: In einer Studie von 2021 gaben 17 Prozent der befragten Münchner an, bereits einmal Opfer von Hasskriminalität geworden zu sein. Also von Straftaten, die beispielsweise aufgrund von Rassismus, Antiziganismus oder Sexismus verübt werden. Das können Beleidigungen sein, aber auch Bedrohungen oder körperliche Gewalt.

Die Kampagne: Flyer, Plakate, Share-Pics in den Sozialen Medien und Fahrgastwerbung

Als Reaktion auf diese Studie hatte der Stadtrat damals fraktionsübergreifend beschlossen, eine Kampagne zum Thema Hasskriminalität in Auftrag zu geben. Am Mittwoch ist diese Kampagne nun veröffentlicht worden. Mit Flyern und Plakaten, Share-Pics in den Sozialen Medien und Fahrgastwerbung soll nun in den nächsten Wochen überall in München über das Phänomen der Hasskriminalität informiert werden - und Betroffene wie Zeugen zum Handeln aufgefordert werden. Denn: "Nur neun Prozent der Opfer von Hate Crime stellen Strafanzeige". Und: "Bei 50 Prozent der Hate Crimes wird weggeschaut". So hat das die Studie ergeben und so steht es jetzt in großen Lettern auf den Plakaten der Kampagne.

Viele Opfer haben zu viel Angst und erstatten keine Anzeige

"Bei Hasskriminalität geht es nicht einfach darum, beleidigt zu werden", sagt Nesrin Gül. "Es geht darum, ausgeschlossen zu werden. Man bekommt vermittelt: Du gehörst hier nicht hin. Selbst wenn man sein ganzes Leben hier verbracht hat." Auch die Jugendlichen, deren Angst sie im Burgerladen zu spüren bekommen hatte, waren Münchner, die nie woanders gelebt haben. "Aber das Gefühl, nicht wirklich dazuzugehören und deshalb Angst haben zu müssen, das hatten sie trotzdem", sagt Gül.

Es gibt zu wenig Vertrauen in die Polizei

Nesrin Gül ist Mitglied der alevitischen Gemeinde und seit vielen Jahren Mitglied des Münchner Ausländerbeirats. Bei der Ausarbeitung der Kampagne hat sie beratend zur Seite gestanden. "In den meisten Fällen trauen sich Leute nicht, Anzeige zu erstatten, wenn sie Hasskriminalität erleben", sagt sie. "Bei der Ausarbeitung der Kampagne war das auch eine Schwierigkeit für die Münchner Polizei, festzustellen, dass es dabei so wenig Vertrauen in sie gibt." Daran würde nun gemeinsam gearbeitet. Polizeipräsident Thomas Hampel unterstützt die Kampagne.

An den Zahlen hat das bislang noch nichts geändert: Nur in neun Prozent der Fälle erstatten die Betroffenen von Hasskriminalität Anzeige. Gefragt nach den Gründen, warum sie nicht die Polizei gerufen hätten, gaben 40 Prozent der Opfer an, sie hätten die Tat "nicht als so schwerwiegend angesehen", weitere 31 Prozent berichteten, sie seien davon ausgegangen, dass die Polizei ihren Fall "sowieso nicht ernst genommen" hätte.

"Einem Bekannten von mir wurde ein Hakenkreuz in den Autolack gekratzt"

Davon kann auch der Münchner Sinto Alexander Adler berichten. "Einem Bekannten von mir wurde beispielsweise kürzlich ein Hakenkreuz in den Autolack gekratzt", erzählt er. "Er weiß, wer das gewesen ist - aber Anzeige zu erstatten, das kommt für ihn trotzdem nicht in Frage."

Das Vertrauen in die Behörden sei unter den Sinti und Roma in München allgemein sehr schwach ausgeprägt. Das hänge auch mit den Erfahrungen aus der NS-Zeit zusammen. Das Problem sei, dass die Täter damit kalkulieren würden. "Wenn die wissen, es wird ihnen nichts passieren, wenn sie jemandem ein Hakenkreuz ins Auto ritzen, dann berechnen sie das beim nächsten Mal mit ein", sagt er.

Und so wiegen sich die Täter in Sicherheit - während jedes dritte Opfer von Hasskriminalität in der Folge bestimmte Plätze und Straßen in München und die öffentlichen Verkehrsmittel meidet, aus Angst, angegriffen zu werden.

Die Kampagne zielt auch darauf ab, den Tätern diese Sicherheit zu nehmen - indem sie Umstehende dazu animiert, einzugreifen, wenn sie Zeugen von Hasskriminalität werden. "Die Frage ist: Ist München wirklich so bunt und weltoffen, wie wir das meinen - oder schauen wir manchmal einfach nicht genug hin?", fragt Bürgermeisterin Katrin Habenschaden. Und antwortet selbst: "Wirklich weltoffen sind wir erst, wenn sich auch jeder offen in München bewegen kann."