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Plädoyers im Hanna-Prozess: Freiheit oder Gefängnis?


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Der Angeklagte (l) und sein Anwalt Harald Baumgärtl betreten den Sitzungssaal im Landgericht Traunstein.

Von dpa

Schuldig oder unter falschem Verdacht? Langjährige Haft wegen Mordes - oder Freispruch? Im Indizienprozess um den Tod der Studentin Hanna aus Aschau im Chiemgau gehen die Auffassungen von Anklage und Nebenklage einerseits und Verteidigung andererseits über den Nachweis der Schuld des 22 Jahre alten Angeklagten diametral auseinander. Aussagen von Zeugen, von Gutachtern - und selbst ein Video, das vor Gericht gezeigt wurde, beurteilten beide Seiten in ihren Plädoyers am Freitag vor dem Landgericht Traunstein teils unterschiedlich. Der Angeklagte schweigt in dem Verfahren - und verzichtete auch auf sein letztes Wort.

Die Verteidiger sehen keine ausreichenden Beweise für eine Verteilung und verlangten Freispruch. Die Staatsanwaltschaft forderte hingegen neuneinhalb Jahre Haft wegen Mordes nach Jugendstrafrecht für den zur Tatzeit 20-jährigen Angeklagten. Der Prozess habe vollumfänglich bestätigt, dass dieser "ohne jeden Zweifel Täter dieses Tötungsdelikts ist", sagte Staatsanwalt Wolfgang Fiedler. Laut Anklagevorwurf soll der Mann die 23-jährige Medizinstudentin am frühen Morgen des 3. Oktober 2022 auf ihrem Heimweg von dem Club Eiskeller in Aschau im Chiemgau aus sexuellen Motiven angegriffen, schwer verletzt und dann in den Bärbach geworfen haben. Dort ertrank sie.

Die These, dass die 23 Jahre alte Medizinstudentin ohne fremdes Zutun in den Bach stürzte, sei widerlegt, sagte Fiedler. An den 33 Tagen der Hauptverhandlung sei "im wahrsten Sinne des Wortes jeder Stein umgedreht" worden. Beweise und Indizien, die den Angeklagten entlasteten, gebe es nicht. Der Prozess berührt viele aus der Gegend emotional. Vor dem Gericht standen die Menschen Schlange, die rund 100 Zuschauerplätze in dem Saal waren komplett besetzt.

Immer wieder rumorte es in dem Verfahren. Ein Befangenheitsantrag gegen das Gericht, eine Strafanzeige wegen des Verdachts einer Weitergabe interner Informationen, Drohungen gegen Verteidiger - und dann auch noch Hinweise auf einen Amoklauf: Der im Oktober vergangenen Jahres gestartete und mehrfach verlängerte Prozess hat einen unruhigen Verlauf genommen. Und mittendrin in dem Trubel, auf eine Weise verloren, Hannas Eltern als Nebenkläger. Das Leid steht ihnen tief ins Gesicht geschrieben. Es lässt sich erahnen, wie schwer für sie die Teilnahme an diesem Prozess ist, in dem jedes Beweismittel, jeder Hinweis x-fach erörtert und teils unterschiedlich interpretiert wird.

Für die Eltern stelle sich "tausendfach die Frage: warum?", sagte deren Anwalt Walter Holderle in seinem Plädoyer. Diese Frage der Eltern sei in dem Prozess "bedauerlicherweise unbeantwortet" geblieben. Die Frage, wer ihre Tochter umbrachte, sei hingegen ganz klar beantwortet worden. Er schließe sich somit dem Antrag der Staatsanwaltschaft zu einer Verurteilung des Angeklagten zu neuneinhalb Jahren Haft an.

Holderle kritisierte erneut, interne Aktenteile aus dem Prozess seien nach außen gegeben worden. Er hat deshalb Strafanzeige gestellt. Für die Eltern sei schwer verständlich, dass ein erwachsen wirkender Mann, der wenige Wochen nach der mutmaßlichen Tat 21 Jahre alt wurde, nach Jugendstrafrecht zu verurteilen sei, sagte Holderle weiter. Jedoch sei hier den Gutachtern zu folgen.

Es gehe um den Tod eines "liebenswerten jungen Mädchens", eines "allseits beliebten jungen Menschen", der "sein ganzes Leben noch vor sich hatte", sagte Holderle weiter. Ein Unfall - den die Verteidigung für möglich hielt - sei ausgeschlossen. Ein Video an der Garderobe des Clubs zeige, dass die junge Frau wegen des Alkoholgenusses keineswegs körperlich eingeschränkt war.

Die Anwälte des Angeklagten sahen hier in Hannas Bewegungen hingegen Unsicherheiten. Sie stellten in ihren Plädoyers auch wichtige Zeugenaussagen infrage, die den Mordvorwurf der Anklage stützen.

Eine Bekannte des Angeklagten hatte angegeben, dieser habe ihr bereits am 3. Oktober 2022 vom gewaltsamen Tod einer jungen Frau berichtet - als der Fall noch gar nicht öffentlich bekannt war. Später allerdings schwieg die Zeugin - möglicherweise traf sie den Angeklagten erst einen oder zwei Tage später, als der Fall zentrales Gesprächsthema in der Region war. "Die Zeugin hat falsche Angaben gemacht, wenn auch durchaus die Möglichkeit besteht, dass sie sich schlichtweg nur geirrt hat", sagte der Pflichtverteidiger Harald Baumgärtl.

Sein Kollege Anwalt Markus Frank dröselte teils widersprüchliche Aussagen von anderen Bekannten des Angeklagten auf. Eklatante Punkte passten hier nicht zusammen, sagte Frank. Bei einem Mithäftling, der den Angeklagten belastet hatte, gehe es wiederum um einen jungen Mann, "der es mit der Wahrheit als andere als genau nimmt", sagte Frank, der hierfür Beispiele anführte. Der Häftling hätte ursprünglich später vor derselben Kammer seinen Prozess gehabt - und habe sich somit durch die Aussage Erleichterungen im eigenen Verfahren erhofft. Die Wahlverteidigerin Regina Rick sprach unter anderem erneut einen Mail-Wechsel zwischen dem Staatsanwalt und der Vorsitzenden Richterin Anfang Januar an, bei dem sich beide über den möglichen Tatablauf ausgetauscht haben sollen. Rick hatte deshalb einen Befangenheitsantrag gegen das Gericht gestellt, den aber eine Vertretungskammer zurückwies. In eineinhalb Wochen, am 19. März, wird nun das Urteil erwartet.


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