Bayern

Münchner Experte verrät, wie Firmen Fachkräfte gewinnen können

In Zeiten von Fachkräftemangel rufen viele Unternehmen Jörg Schleburg an. Er berät, wie sie sich als bekannte Marke aufstellen können. Im Fachjargon heißt das "Employer Branding". Der Experte warnt: Das Problem fehlender Fachkräfte wird von vielen untersc


Berater Jörg Schleburg ist es wichtig, seine Kunden langfristig zu betreuen und nicht nur wenige Monate.

Berater Jörg Schleburg ist es wichtig, seine Kunden langfristig zu betreuen und nicht nur wenige Monate.

Von Hüseyin Ince

München - Cafés finden keine Kellner, Hotels keine Putzkräfte, Uni-Absolventen technischer Fächer sind heiß begehrt. Der Münchner Mitarbeitermangel wächst täglich und wird immer dramatischer. Inzwischen ist das Thema ausgeartet. Es geht nicht mehr nur um Fachkräftemangel. Jörg Schleburg ist Inhaber der Agentur "Von Vorteil" und berät Unternehmen, die dringend nach neuen Kollegen suchen. Und er kann immer helfen. Ein Blick hinter die Kulissen von Firmen beim Wettbewerb um begehrte Mitarbeiter. Schleburg erklärt, mit welchen Kniffen er hilft.

AZ: Herr Schleburg, kurz vorweg: Sie hatten vor 2013 einen gut bezahlten, sicheren Job als Kreativdirektor in einer Beratungsfirma. Warum wollten Sie unbedingt ein eigenes Unternehmen gründen?

JÖRG SCHLEBURG: Ich war oft nicht einverstanden mit dem Beratungsansatz und der Arbeitskultur in der Agenturwelt und wollte vor allem mit inhabergeführten Mittelständlern oder Familienunternehmern zusammenarbeiten. Mir war es schon immer wichtig, nicht nur die nächsten drei Monate zu fokussieren.

Bereuen Sie es also nicht?

Ein klares Nein. Ich musste mir zwar zu Beginn wahnsinnig viel Neues aneignen. Und natürlich gab es mal Rückschläge. Aber es war ein Befreiungsschlag. Meine Kunden schätzen es, wenn ich persönlich Verantwortung übernehme, als Inhaber meiner Agentur.

Inzwischen beraten Sie namhafte Münchner Mittelständler, die mit dem Fachkräftemangel kämpfen. Wie groß sind die Unternehmen?

Es ist eine große Bandbreite. Manche haben 80, manche 60 000 Mitarbeiter. Meine Agentur ist in ganz Deutschland aktiv, hauptsächlich aber im süddeutschen Raum.

In Bayern gibt es laut IHK bis 2025 beinahe 100 000 Schulabgänger und fast 300 000 Rentner. Ist das ein Trend, der bei den Firmen angekommen ist?

Das schon, aber man denkt oft, es ginge nur darum, neue Mitarbeitende zu kriegen. Unternehmen schieben die Verantwortung gerne in die Personalabteilung. Aber es braucht alle: die Geschäftsführung, das Marketing, die Personalabteilung, die Unternehmenskommunikation, wirklich alle.

Was ist das allergrößte Problem?

Die Situation wird unterschätzt. Fachkräftemangel ist nach der Klimakrise und der Energiekrise die größte Gefahr für unseren Wohlstand. Die wichtigste Wachstumsressource der letzten Hundert Jahre wird sehenden Auges immer knapper: der Mensch. Seit den 70ern ist das Problem eigentlich bekannt. 2040 wird ein Drittel der Bevölkerung 65 Jahre und älter sein. Ein Drittel der erwerbstätigen Bevölkerung wird bis zum Ende des Jahrhunderts wegfallen.

Ist das den Unternehmen einfach nicht bewusst?

Corona war da schon ein Augenöffner. Gerade im Niedriglohnsektor. Lange Wartezeiten bei Kundenhotlines, geschlossene Bankschalter und Wartezeiten bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen sind da erst der Anfang. Die dringendste Frage ist: Wie begegnen wir dem Fachkräftemangel?

Und Sie verbessern dann die Attraktivität des Unternehmens im Wettbewerb um die wenigen Arbeitnehmer?

Auch das. Aber die zentrale Aufgabe ist, innerhalb der Firma die wesentlichen Hebel zu finden. Auch Produktivität und Wertschöpfung sind wichtige Themen.

Produktivität? Klingt jetzt wie: Arbeitnehmer sind zu faul.

Nein, das ist nicht der Punkt. Aber ein weiterer messbarer Trend ist neben Fachkräftemangel, dass seit Jahren die Produktivität geringer wird, obwohl wir digitalisiert sind und über Tausende Kanäle rund um die Uhr kommunizieren können.

Warum ist das so?

Es ist noch nicht erforscht. Aber zum Zusammenhang zwischen Produktivität und Mitarbeiter-Zufriedenheit gibt es eine Harvard-Untersuchung.

Die besagt?

Ein zufriedener Mitarbeiter ist zu hundert Prozent produktiv, ein engagierter zu 144 und ein inspirierter zu 225. Und im Schnitt hat ein Sechstel der Mitarbeiter bereits innerlich gekündigt. Das senkt natürlich die Gesamtproduktivität. Hundert Prozent zu erreichen ist für viele Unternehmen häufig schon eine Herausforderung.

Was zieht gute Fachkräfte an?

Angemessene Bezahlung, Wertschätzung, wenige bürokratische Hürden, Sicherheit im Job und im Arbeitsumfeld - das sind die wichtigsten Faktoren. Die Harvard-Studie besagt auch: Gelingt es dem Unternehmen, den Mitarbeitenden durch die Mission und über seine Führungskräfte zu inspirieren, hebt das die Produktivität auf ein völlig neues Niveau.

Und hohe Produktivität muss also das Ziel sein?

Eines der Ziele, aber natürlich ohne auszubeuten. Produktiver sein heißt nicht, mehr zu arbeiten, sondern leidenschaftlicher. Wenn sich die Gesamtproduktivität steigern lässt, kann man den enormen Fachkräftemangel ein Stück weit auffangen.

Was ist mit politischen Instrumenten, wie zum Beispiel die Einwanderung von qualifizierten Fachkräften?

Wichtig. Aber auf die Politik würde ich nicht warten. Ich setze dort an, wo die Unternehmen selbst und relativ schnell etwas bewirken können.

Also landet man unweigerlich bei den sogenannten Benefits, Extraleistungen der Unternehmen: Jobtickets, Elektroroller, Weiterbildung ...

Darüber machen sich viele Unternehmen vermeintlich attraktiv, ja. Aber es ist eigentlich nicht der richtige Ansatz. Wenn es nur um die Benefits geht, sind Fachkräfte schnell wieder weg, sobald andere Firmen bessere Benefits bieten. Es gibt da eine Metapher: das klischeehafte Bild der Profi-Fußballspielerfrau. Sie ist da, weil der Partner im Scheinwerferlicht steht, ein großes Haus besitzt, tolle Autos, viel Geld hat und viele Luxusurlaube machen kann. Sobald einer dieser Benefits wegfällt, steigt die Gefahr, dass die Spielerfrau den Spieler verlässt und zum nächsten Spieler wechselt.

Ist natürlich ein schräges Bild, weil ja die klischeehafte Spielerfrau nicht viel leistet, im Gegensatz zu gutem Personal.

Es passt trotzdem, weil Benefits - wie beim Fußballer der Luxus - austauschbar sind. Was nicht austauschbar ist: Warum ein Unternehmen auf dem Markt ist, welchen Beitrag es leistet und wie man gemeinsam die Ziele erreichen kann. Sich auf Benefits zu fokussieren, ist der völlig falsche Ansatz. Sie lösen nicht das eigentliche Problem.

In welche Richtung beraten Sie zuerst? Attraktiver zu sein? Oder produktiver zu sein?

Wir gehen da ergebnisoffen ran, je nach Potenzial. Wir analysieren, führen ehrliche und offene Gespräche auf Augenhöhe. Wichtig ist auch die Außenwahrnehmung, wie etwa die Firmenbewertung auf Jobplattformen.

Die häufigsten Probleme?

Führung und interne Kommunikation. Wenn die Mitarbeitenden nicht verstehen, wohin das Unternehmen will, ist das fatal.

Ein Beispiel?

Ein großes Unternehmen aus dem Konsumgüterbereich. 60 000 Angestellte. Sie brauchten neue IT-Kräfte. Wir beraten es seit zwei Jahren. Das Problem war, dass die Firma unter IT-Kräften nicht wirklich bekannt gewesen ist. Unsere Aufgabe war, herauszufinden, welche Vorbehalte es gab, ob sie berechtigt waren und wie die Firma darauf reagieren sollte.

Was haben Sie festgestellt?

Die Vorbehalte waren groß, das Unternehmen galt als verstaubt, zu traditionell.

Wo haben Sie angesetzt?

Wir stellten fest, dass die Vorbehalte nicht stimmten. Es gab eine dynamische Unternehmenskultur, eine Arbeitswelt wie bei modernen Tech-Firmen. Das kam über Gespräche heraus.

Was war der nächste Schritt?

Wir mussten Plattformen finden, auf denen das Unternehmen gut für sich werben und sich mit der Zielgruppe vernetzen kann. Und da geht es nicht um die großen, bekannten Job- oder Social-Media-Plattformen.

Konkret?

Beispiel E-Sports (Wettkampf mit Computerspielen, d. Red.). Gerade IT-Fachkräfte haben eine hohe Affinität dafür.

Also hat dieses Unternehmen ein E-Sport-Team gegründet?

Richtig. Das führt auch nicht sofort zu 500 Bewerbungen. Aber man holt die IT-Leute dort ab, wo sie sind und kann sich vernetzen.

Weitere Strategien?

Unternehmenseigene Influencer aufbauen. Wenn Mitarbeitende auf ihren privaten Social-Media-Accounts Einblicke in ihren Arbeitsalltag und ihre Projekte geben, ist das glaubwürdig und authentisch.

Ein weiteres Beispiel?

Junges Start-up aus München, aus der Baubranche. Wollten und mussten wachsen, von 100 auf 250 Mitarbeiter. Wir beraten sie seit 2021. Dort haben wir ein professionelles Hochschulmarketing aufgebaut, damit sie direkt Leute von der Uni anwerben können.

Ist das nicht zu früh?

Nein. Viele Absolventen der MINT-Studiengänge haben drei bis vier unterschriftsreife Jobangebote, mehrere Semester, bevor sie ihr Studium abgeschlossen haben. Gerade LMU- und TU-Studenten sind extrem begehrt.

Wie kommt man da als Mittelständler an solche Absolventen heran?

Erst einmal die richtigen Hochschulen ermitteln, an denen vielleicht der Wettbewerb um die Absolventen noch nicht so groß ist. Hochschulen haben nicht nur einen Bildungsauftrag, sondern auch einen Vermittlungsauftrag. Stipendien, Praktika, Werkstudenten-Jobs. Da muss man anknüpfen. Die Unis müssen nicht unbedingt in München sein, gerade weil die Studierenden dort schon so umworben sind. Wer als Arbeitgeber Homeoffice anbietet, kann über München hinaus suchen.

Welche Unis sind das dann?

Es gibt sehr gute Hochschulen im Osten Deutschlands, deren Studierende noch nicht so extrem umworben sind, aber eben sehr gute Absolventen ausbilden.

Wie wichtig ist in Zeiten von Homeoffice noch der Faktor der hohen Mieten in München?

Es ist mit die größte Herausforderung. Es gibt ja nicht nur IT-Jobs. Gerade beim Handwerk und Gesundheitswesen ist kein Homeoffice möglich.

Stimmt es, dass IT-Kräfte hohe Einstiegsgehälter verlangen, weil sie so begehrt sind?

Das kann ich bestätigen. IT-Berufseinsteiger rufen Jahresgehälter von 70 000 bis 80 000 Euro auf. Und sie können sie durchsetzen.

Angenommen, das Fachkräfteproblem ist gelöst. Sind Sie dann arbeitslos?

Wenn, dann bin ich da längst im Ruhestand.

Jörg Schleburg spricht auch in einem Podcast regelmäßig zum Thema Fachkräftemangel, Titel: "scharf und sinnig", auf Spotify.