Bayern

Gedenken in Gold: 44 Stolpersteine werden in München verlegt

Im Januar werden 44 Stolpersteine in München verlegt- so viele wie nie zuvor: Am Freitag, 14 Uhr, ist inder Tengstraße 27 die Gedenkstunde für die Opfer der NS-Diktatur aus dem Wohnhaus.


Ort der Verlegung: Der Eingang zum Wohnhaus in der Tengstraße 27 in Schwabing.

Ort der Verlegung: Der Eingang zum Wohnhaus in der Tengstraße 27 in Schwabing.

Von Eva von Steinburg

Der Mediziner Leopold Flatow hatte eine Praxis in der Tengstraße 27. Bis ihm die Nationalsozialisten seine Zulassung entzogen. 1942 beging der Arzt aus München Selbstmord.

Um seine Person und sein schlimmes Schicksal vor dem Vergessen zu bewahren, verlegt Terry Swartzberg heute, 14 Uhr, in der Tengstraße 27 einen goldschimmernden Stolperstein für Leopold Flatow neben dem Hauseingang.

Aus dem herrschaftlichen Gründerzeithaus waren weitere 14 jüdische Hausbewohner Opfer des Nazi-Regimes geworden. Ab heute werden 15 schimmernde Tafeln an sie erinnern: Die Stolpersteine sind zehn mal zehn Zentimeter große, von Hand beschriftete Messingplatten, mit abgerundeten Ecken. Links und rechts der Haustüre werden sie in den Boden eingelassen.

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Mit-Hausbesitzerin Barbara Schweyer ehrt die Opfer.

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Terry Swartzberg von der Stolperstein-Initiative. Für 120 Euro kann derErinnerungsstein auf privatem Grund verlegt werden.

In dem Münchner Wohnhaus lebten Familien und eine Schauspielerin. Die Deportierten führten beispielsweise einen Schuhwaren-Großhandel, ein Nachbar war ein gefragter Chemiker. In die Stolpersteine sind der Name, die Daten, der Geburts- und Sterbeort der früheren Bewohner eingraviert, etwa von Molly Jochsberger, zwei Kinder. Die Schwabingerin wurde am 20.11.1941 nach Kaunas deportiert und wenige Tage später ermordet.

Die Gedenksteine sind in München nur auf privatem Grund möglich. Mit-Hausbesitzerin Barbara Schweyer (70) liegt die Ehrung der Opfer am Herzen. Zur Verlegung der Steine gibt es eine Lesung der Biografien - und Gebete der Liberalen Jüdischen Gemeinde.

"Wenige der jüdischen Bewohner aus dem Haus konnten fliehen, meist nach England. In aller Regel sind sie grausam ermordet worden in Auschwitz. Für mich ist es richtig, an die Menschen zu erinnern", sagt Barbara Schweyer: "Wir erleben gerade, wie es Menschen geht, weil es Krieg gibt."

Auf der Feier liest sie aus der Biografie "Minister und Märtyrer" über den Vater ihres Schwiegervaters: Franz Xaver Schweyer. Er war von 1921 bis 1924 bayerischer Innenminister. Früh habe er die Gefahr des Nationalsozialismus erkannt und im bayerischen Kabinett gefordert, Adolf Hitler auszuweisen, da dieser Österreicher war. Ohne Erfolg.

Später habe er Strafanzeige gegen Hitler gestellt, wegen Landfriedensbruch. "Für mich war Franz Xaver Schweyer der erste deutsche Widerstandskämpfer. Hätte er sich durchgesetzt, hätte das die Geschichte verändern können", meint Terry Swartzberg von der Stolperstein-Initiative.

Die Stadt München bezahlt die 15 Stolpersteine für die Tengstraße. Sie kosten 120 Euro pro Stück. Barbara Schweyer hat bei der Platzierung der Erinnerungswürfel vor dem Haus darauf geachtet, dass man nicht auf die Namen tritt.

"Ich habe höchsten Respekt vor Charlotte Knobloch", sagt sie. Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde in München, lehnt die Berührung von Schuhen mit den Plaketten für die Nazi-Opfer entschieden ab. Sie sieht dabei brutale Bilder vor sich: von verfolgten Juden, die getreten werden.

Die heutigen Mieter des Hauses haben schon 2022 ein Gedenken für die jüdischen Hausbewohner organisiert. "Menschen, die seit 44 Jahren in unserem Haus leben, schrieben mir danach, sie seien sehr, sehr ergriffen gewesen", erzählt Barbara Schweyer.

Die Stolpersteine wollen ein Zeichen gegen Antisemitismus und Hass setzen. So viele wie nie, über ein Fünftel der Münchner Steine, werden diesen Monat verlegt.

Die Zahl steigt damit auf insgesamt 224 - auf privatem Grund. In Berlin darf überall gedacht werden. Über 9894 Erinnerungssteine sind es dort inzwischen. Weitere Termine: stolpersteine-muenchen.dei