Der Kirchenchor ist nichts für sie

Rebellisch, laut, pensioniert

Die Regensburger Rentner-Band Bones Trader spielt Rocksongs aus ihrer Jugend


Franz Artmann (l.) und Albert Schmidbauer sind in die E-Gitarre und den E-Bass vertieft.

Franz Artmann (l.) und Albert Schmidbauer sind in die E-Gitarre und den E-Bass vertieft.

Kirchengleiche Deckenfresken schmücken die hohen, weißen Innenräume des Schlossgebäudes in Alteglofsheim. Eine breite, knarrende Holztreppe führt durch die Weiten des Traktes. Durch die tunnelförmigen Gänge dringen Akzente von Klaviermusik und Schlagzeug.

Zweiter Stock, Probenraum Nummer 210. Vor einer mittelalterlich anmutenden, mit Eisenschienen verstärkten Holztüre schallt es laut nach draußen. Die Bones Trader haben an diesem Donnerstagnachmittag ihre wöchentliche Bandprobe in den altehrwürdigen Gemäuern. Wer die fünf Musiker zum ersten Mal sieht, mag überrascht sein. Im Zimmer mit kunstvoll verziertem Kaminsims und gelben Vorhängen stehen und sitzen fünf ältere Herren. Die Haare sind überwiegend grau meliert, die Hemdenauswahl bewegt sich irgendwo zwischen klassisch blau und elegant gestreift. Nur einer sticht mit Jeans, Sneakers und knalligem Shirt heraus: Fritz Pohl, 74 Jahre alt, Schlagzeuger und Ältester der Truppe. Sie alle verfolgen ein ehrgeiziges Ziel: Am 29. Mai wollen die Bones Trader beim 15. Rentner.Rock.Festival im Konzertsaal der Musikakademie Alteglofsheim alte Rocksongs aufleben lassen.

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Wolfgang Schiller und sein Keyboard sind eine Einheit.

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Georg Treindl rockt zum Gesang auf der E-Gitarre.

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Der Schlagkräftigste im Bunde der Bones Trader ist eindeutig Fritz Pohl mit seinen Drumsticks.

Konzert-Feeling im
Probenraum

Das erste von 14 Liedern wird geprobt: "Let The Good Times Roll". Albert Schmidbauer, 73 Jahre, gibt am Mikrofon Ray Charles und setzt immer wieder zu einem "Hey everybody" an - intoniert mit seiner kräftigen und tiefen Stimme. Nebenher spielt er Akkorde auf dem E-Bass. Die Band scheint zufrieden mit ihrer Performance. Lied zwei folgt, "Sweet Home Alabama". Alle sind in ihre Instrumente vertieft, wirken voll fokussiert, nehmen den Sound in sich auf. Georg Treindl, 68 Jahre und Franz Artmann, 72, spielen auf ihren E-Gitarren die markanten und feinfühligen Gitarrenriffs des Stücks. In den Soli sieht man ihnen die Leidenschaft für diese Musik an: Die Gesichtszüge gehen mit jedem Ton mit. "Auf den Einsatz müssen wir uns nochmal einigen", sagt Albert nach dem Lied zu seinen Bandkollegen und stellt die Instrumentaleinsätze klar. Kurze Trinkpause.

Von der Idee zum
Rentner-Rock-Konzert

Dass sich die Fünf im hohen Alter professionell auf ein Rockkonzert vorbereiten würden, hätten sie bis vor wenigen Jahren selbst nicht für möglich gehalten. Ins Rollen gebracht hat alles Bernd Schweinar, künstlerischer Leiter der Musikakademie Alteglofsheim. 2011 war das, als er dem Leader einer Professoren-Band in der Regensburger Szene einen Gitarrenlehrer vermitteln sollte. Dieser war Prof. Dr. Wolfgang Wiegard, emeritierter Wirtschaftsweiser und Berater der Bundesregierung.

Was, dachte sich Schweinar, wenn es noch mehr Leute wie Wiegard gäbe, die sich nach der beruflichen Karriere auf die Musik zurückbesinnen wollten, um das nachzuholen, was in der Freizeit jahrelang zu kurz gekommen war?

Aus dieser Hoffnung heraus, in der älteren Generation Gleichgesinnte für eine Bandgründung zu finden, startete die Akademie einen Aufruf. Prompt standen beim ersten Termin drei Dutzend Leute vor der Tür. "Wir waren von der Nachfrage überrollt", erinnert sich Schweinar. Seitdem sind sieben Bands aus dem Rentner-Rock-Projekt der Musikakademie hervorgegangen. Die Bones Trader sind mit wechselnder Besetzung von Beginn an dabei und damit fast ein Urgestein.

Bei Deep Purple
fliegen die Fetzen

Wolfgang Schiller setzt mit einem Spiel auf dem Keyboard ein. "Black Magic Woman" heißt der nächste Titel, im Original gesungen von Santana. Der 69-Jährige wirkt ruhig und bedächtig in dem, was er da tut. Allein ein sich auf- und ab bewegender Fuß wippt beständig im Einklang des Takts mit. Zu den Tönen des Keyboards gesellt sich Fritz, der lässig-gefühlvoll die Bongos am Schlagzeug bedient. Wieder wird konstruktive Kritik geübt. "Hast du den Ton richtig getroffen, Albert?", fragt Georg ihn. Nicht sicher, welche Tonart es denn nun war, wird der Anfang nochmal geprobt. Jede Kleinigkeit muss sitzen.

Es folgt der vermeintliche Inbegriff der Rockmusik: "Smoke On The Water" von Deep Purple. Franz, Albert und Georg drehen richtig auf und entlocken mit schnellem Fingerspiel ihren Gitarren und Bässen die für das Stück so markanten dunklen und düsteren Klänge. Fritz bearbeitet mit seinen Drumsticks das Schlagzeug und beendet den Song mit einem furiosen Finale auf den Becken. Der Sound dringt aus drei Bässen am Boden und zwei aufgestellten Lautsprechern und lässt den Raum erbeben.

Ehemalige Lehrer
wurden zu Rockern

Ein Grundbezug zum Musizieren ist bei allen Bandmitgliedern vorhanden. Den Ton gibt aber allzu gerne Albert an, der seinen guten Gesang auf den Schulchor zurückführt. Auch Akkordeon, Cello und Gitarre hat er noch zu Schulzeiten gelernt. Mit 17 Jahren gründete er seine erste eigene Band und mit 60 fing er wieder an, sich intensiv der Musik zu widmen. Beruflich kommen die fünf aus ganz verschiedenen Bereichen: Franz war Verwaltungsangestellter, Fritz Maschinenbautechniker, Wolfgang Gymnasiallehrer, Albert Direktor des Arbeitsgerichts in Regensburg und Georg Lehrer an einer Berufsoberschule. Dass diese Mischung wunderbar harmonieren kann, sieht und hört man bei jedem Lied.

Geld bekommen die Gruppen für ihre Auftritte bei den Festivals in Alteglofsheim nicht, "das ist reines Freizeitvergnügen", sagt Schweinar. Die zehn Euro Gebühren für den Eintritt werden zum Großteil in die Förderung der Musiktalente investiert. Dazu gehören etwa Gesangscoaching-Programme mit Musikexperten, Tipps für den richtigen Sound auf der Bühne und eine Schulung im Umgang mit digitaler Mischpulttechnik.

Ganzjährig musikalisch unterwegs

Auch außerhalb der Festivals treten die Bands im Programm von anderen Veranstaltungen auf. Dafür sorgt nicht zuletzt Bernd Schweinar selbst, der immerzu versucht, die Musiker auswärts einzusetzen und dem größeren Publikum bekannt zu machen. Aber auch die Bandmitglieder wollen, dass sich ihre wöchentlichen Proben auszahlen und suchen nach Möglichkeiten, ihre Musik anderen zugänglich zu machen. So sind die Bones Trader bereits im Lokschuppen in Regensburg oder bei der Rothenburger Oldie-Rock-Nacht dabei gewesen. Außerdem sind sie beim Bürgerfest in Obertraubling regelmäßig als Musik-Act eingeplant.

Das Publikum ist
überraschend jung

"Ich hasse das Wort covern", sagt Albert. "Wir interpretieren." Eine Eigenkomposition von Wolfgang hat die Band auch in ihr Repertoire aufgenommen. Warum sie keine Hits von AC/DC oder Metallica spielen? "Weil das nicht die Musik ist, mit der wir groß geworden sind", sagt Franz. "Die Musik, die wir spielen, kennen wir und die mögen wir", sagt Fritz. "Das haben wir einfach im Blut", meint Georg. Vorurteile gegenüber heutigen Rocksongs hätten sie aber nicht.

Die diesjährige Besetzung auf dem Rentner.Rock.Festival ist um die 70 Jahre alt oder auch darüber. Zu den Jüngsten zählen Mitglieder, die auf die 60 zugehen. Diesen Altersquerschnitt unterbietet das Publikum bei den Festivals aber teilweise deutlich, denn in der Regel sei die Zuhörerschaft gemischt: "Es ist überraschend so, dass im Publikum nicht nur ältere Menschen sind, sondern auch 20- bis 30-Jährige", sagt Schweinar. Es gibt nur Sitzplätze, davon 270, die fast immer vollständig belegt sind. Die Musikauswahl ist stets eine andere und breit gestreut, von Hits aus den 1950ern bis hin zum Anfang der 80er-Jahre ist alles vertreten.

Die schmachtige Soul-Ballade "When A Man Loves A Woman" von Percy Sledge findet neben Elvis und den Beatles auch noch ihren Weg in die Bandprobe, bevor nach knapp zwei Stunden für heute Schluss ist mit "Rock Around The Clock". "Endlich seh ich euch beim Konzert wieder nur von hinten", schiebt Fritz hinterher. Geschafft sehen die rüstigen Senioren nicht aus, höchstens etwas verausgabt. Mehrere Reservestücke haben sie schließlich auch noch auf Lager: "Wir haben notfalls 35 bis 40 Stücke drauf, falls ein Act ausfällt", sagt Albert.

Ziel: Mit 80 Jahren auf der Bühne stehen

Ältere Mitglieder in Aktivitäten einzubinden, sei für Schweinar eine gesamtgesellschaftliche Angelegenheit. "Eine Überalterung der Gesellschaft ist nicht von der Hand zu weisen. Insofern ist jeder gefordert, ein breiteres Angebot für Leute im höheren Alter anzubieten." Auch Konzertveranstalter denken mittlerweile darüber nach, für älteres Publikum andere Möglichkeiten der Musikpräsentation anzubieten. Auf manchen Festivals gebe es kleine Hütten, in denen ältere Besucher übernachten könnten, sagt Schweinar. Diesen Bedürfnissen müssen die Veranstalter gerecht werden, weil sie sich nicht mehr nur auf die Jugendlichen verlassen können.

Ob das Potenzial der rüstigen Senioren unterschätzt werde? "Man müsste den Rentnern durchaus mehr zutrauen", meint Schweinar. Die Leistung auf der Bühne sollte jeder Teilnehmer als Herausforderung sehen, um im Alter geistig und physisch fit zu bleiben. "Leute, die bis ins hohe Alter Instrumente spielen, werden erst Jahre später Gesundheitsleistungen in Anspruch nehmen müssen", weiß Schweinar. Deshalb sei jegliche Art von musikalischer Betätigung im Alter nur zu empfehlen.

An dieses Motto halten sich Fritz, Franz, Wolfgang, Albert und Georg auch weiterhin. "Bewegung hält jung", sagt Fritz. Eine wohltuende Erfrischung an der schlosseigenen Kellerbar lassen sich die begnadeten Alt-Rocker anschließend nicht nehmen. "Chuck Berry ist noch mit 80 Jahren aufgetreten - das ist mein Ziel", hält Albert fest.