Straubing

Pro-aktive Beratung: Raus aus der Gewalt-Beziehung


Mehr als 100 Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt waren, mussten im Jahr 2017 mangels Betreuungsplätzen abgelehnt werden. Nun scheint die Politik den Hilferuf gehört zu haben (Symbolbild).

Mehr als 100 Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt waren, mussten im Jahr 2017 mangels Betreuungsplätzen abgelehnt werden. Nun scheint die Politik den Hilferuf gehört zu haben (Symbolbild).

Von Stefan Karl

Seit 1994 betreut die Caritas über den Verein Haus für das Leben e.V. das Frauenhaus in Straubing. In den vergangenen Jahren war die Betreuungs-Situation in der Einrichtung in vielerlei Hinsicht angespannt. Mehr als 100 Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt waren, mussten im Jahr 2017 mangels Betreuungsplätzen abgelehnt werden. Nun scheint die Politik zu reagieren. Eine sogenannte Interventionsstelle soll ab Anfang Mai für schnelle Hilfe unabhängig von den begrenzten Betreuungsplätzen sorgen. Hoffnungen setzen die Verantwortlichen außerdem auf neuerliche Entwicklungen im politischen München.

Es sind Nachrichten, die nicht zusammenpassen wollen über das Frauenhaus in Straubing: Auf der einen Seite verspricht der Freistaat immer mehr Geld für Frauenhilfe-Einrichtungen. Zuletzt im Februar hatte der Landtag im Nachtragshaushalt den entsprechenden Posten nochmal um eine halbe Million Euro aufgestockt.

"Ein fast schon historisches Modell"

Auf der anderen Seite scheint sich an der Situation vor Ort in Straubing kaum etwas zu ändern. Das Haus für das Leben ist permanent an der Kapazitätsgrenze, genau genommen darüber: 114 Frauen, die Schutz vor häuslicher Gewalt gesucht hatten, mussten 2017 wegen Überbelegung abgelehnt werden. Gerade einmal fünf Wohnplätze kann das Frauenhaus zur Verfügung stellen. Viel zu wenig, bestreiten weder Stadt noch Freistaat und schon gar nicht die Caritas, die für die Verwaltung der Einrichtung zuständig ist.

Warum aber tut sich trotz aller Willensbekundungen so wenig bei der Betreuung von Frauen, die zu Hause Opfer von Gewalt sind? Das Straubinger Frauenhaus ist in vielerlei Hinsicht selbst Opfer - der politischen Verhältnisse. Wenn es um die Betreuungsplätze für Frauen in schwierigen Situationen geht, verfolge der Freistaat Bayern ein fast schon historisches Modell, erklärt Norbert Scheidler, der Geschäftsführer der Caritas in Straubing. Sie ist über den Verein Haus für das Leben e.V. Träger der Einrichtung.

Aufenthalte im Frauenhaus dauern immer länger

Beim gegenwärtigen Modell sind mehrere Landkreise zu Planungsregionen zusammengefasst - im konkreten Fall die Stadt Straubing, der Landkreis Straubing-Bogen, der Landkreis Regen sowie der Landkreis Deggendorf. Soweit die Theorie. In der Praxis konnten sich die vier Körperschaften nie auf einen gemeinsamen Standard bei der Betreuung der Frauen einigen. Ergebnis: Regen und Deggendorf gehen jeweils eigene Wege. Stadt und Landkreis Straubing bekommen damit gemeinsam nur etwa die Hälfte der Finanz- und Fördermittel, die für die Region eingeplant sind. Das schränkt die Möglichkeiten ein, auch wenn Stadt und Landkeis laut eigenen Angaben im vergangenen Jahr rund 160.000 Euro für die Einrichtung zur Verfügung gestellt haben.

Eine weiterer Faktor ist der Wohnungsmangel, sagt Markus Wimmer, der Leiter des Amts für soziale Dienste in Straubing. Nach der ersten Zuflucht im Frauenhaus suchen die meisten Frauen, die Opfer von häuslicher Gewalt sind, eine Wohnung für sich alleine beziehungsweise für sich und ihre Kinder. Was aber, wenn eine solche nicht zu finden ist? Aus drei Monaten durchschnittlicher Aufenthaltsdauer im Frauenhaus sind aufgrund der Situation auf dem Wohnungsmarkt ein Dreivierteljahr geworden. Es dauert immer länger, bis einer der Betreuungsplätze wieder frei wird.

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Gearbeitet wird längst überregional

Frauen, die wegen Überbelegung abgewiesen werden, müssen nicht in ihr gewalttätiges Umfeld zurück - allerdings lange Wege in Kauf nehmen, wie Markus Wimmer erläutert: "die Frauen werden meist in entsprechende Einrichtungen in anderen Gebietskörperschaften vermittelt, so wie auch im Straubinger Frauenhaus teilweise Frauen aus anderen Regionen aufgenommen werden. Diese Ablehnungen sind daher zum Teil auch im bayernweiten Kontext zu sehen." Die Bedarfsplanung ist also regional - faktisch aber müssen die Einrichtungen längst überregional zusammen arbeiten.

Dass das System in Teilen überholt ist, haben offenbar auch die Vertreter des Freistaats mittlerweile eingesehen: in einem Eckpunkte-Papier fordern die Träger der Frauenhäuser einen neuen, "pro-aktiven" Ansatz. Und stoßen damit in München auf offene Ohren. Mitte April sind Norbert Scheidler und seine Kollegen zu einem Gespräch ins Familienministerium geladen. Es geht um die zukünftige Beratungs- und Förderstruktur für die Frauenhäuser.

Viele Frauen sind sich ihrer Möglichkeiten nicht bewusst

"In gewisser Weise setzen wir einen Schritt früher an", erklärt Scheidler, "wir warten nicht mehr ausschließlich darauf, dass sich die Frauen bei uns melden, sondern schaffen eine sogenannte Interventionsstelle, die von sich aus an Frauen, die Opfer häuslicher Gewalt sind, herantritt." Sie werde eingeschaltet, wenn beispielsweise die Polizei wegen eines gewalttätigen Ehemanns gerufen wird. Es geht darum, den Frauen Möglichkeiten jenseits der Flucht aus den eigenen vier Wänden aufzuzeigen - "viele Frauen wissen nicht, dass eigentlich auch sie ihren Mann aus der Wohnung schmeißen können." Ein solches Kontaktverbot sei möglich, unabhängig davon, was im Mietvertrag stehe.

Interventionsstelle nimmt Anfang Mai ihre Arbeit auf

Viele Frauen seien sich ihrer Möglichkeiten nicht bewusst. Oft schade es auch nicht, an den Mann heranzutreten, der die Gewalt ausübt. Im Einzelfall sehen gewalttätige Männer ein, dass sie eine Grenze überschritten haben und etwas ändern müssen.

Zeitweise, um aus der akuten Gefahrensituation herauszukommen, könne auch eine Nacht im Hotel oder in einer Pension in Frage kommen. "Wichtig aber ist, dass die Sozialarbeiterin der Interventionsstelle den gesamten Prozess begleitet - sei es am Telefon oder im persönlichen Beratungsgespräch".

Betreut wird die Interventionsstelle von einer Sozialarbeiterin, die Anfang Mai ihre Arbeit aufnimmt, bestätigt Norbert Scheidler gegenüber idowa. Wie so oft reicht das Geld vom Freistaat nicht - der finanziert für die Stelle derzeit nur zehn Arbeitsstunden. "Wir sind daher glücklich, dass übergangsweise Stadt und Landkreis einspringen, um diese Stelle zu finanzieren." Also alles wie immer. Aber vielleicht Folgen den Worten aus dem Familienministerium diesmal Taten. Eine gesicherte Finanzierung über das aktuelle Jahr hinaus wäre nämlich, wie Norbert Scheidler es mit britischen Understatement sagt "durchaus wünschenswert".