Justizministerkonferenz

Essen aus Mülltonnen: Wird Containern jetzt legal?


Eine junge Frau fischt heimlich Lebensmittel aus der Abfalltonne eines Supermarktes - das nennt man "Containern".

Eine junge Frau fischt heimlich Lebensmittel aus der Abfalltonne eines Supermarktes - das nennt man "Containern".

Von Tabitha Nagy

Soll Containern legal werden? Das fordert Hamburgs Justizminister, der sich mit seinen Amtskollegen über Maßnahmen gegen die Verschwendung von Lebensmitteln im Handel berät.

München - Ein Fall aus Bayern könnte in diesen Tagen Justizgeschichte schreiben: Im Juni 2018 fischen zwei Studentinnen aus Olching - sie wollen nur ihre Vornamen Franzi und Caro in der Zeitung lesen - Gemüse, Obst, abgelaufene Schokolade, Joghurt und Käse aus dem Müllcontainer eines Edeka-Marktes. Aus Protest gegen die Lebensmittelverschwendung, wie sie später sagen werden. Die jungen Frauen (27 und 25) werden wegen "schweren Diebstahls" zu Geldstrafen von je 225 Euro auf Bewährung verurteilt.

Containern: Thema im Bundestag und auf Justizministerkonferenz

Die Revision läuft - und das Thema hat es auf die Tagesordnung der Justizministerkonferenz geschafft, die ab Donnerstag in Lübeck tagt.

Die Linke-Fraktion im Bundestag hat den Fall bereits im April zum Anlass für einen Antrag genommen, in dem sie die Bundesregierung auffordert, das "Containern" zu legalisieren. "Es ist völlig absurd, dass Menschen, die weggeworfene Lebensmittel aus den Mülltonnen nehmen, strafrechtlich verfolgt werden", sagt der Abgeordnete Niema Movassat. Solche Menschen hätten entweder kein Geld oder handelten aus Nachhaltigkeitserwägungen. "Beide Motive sind nicht verwerflich, es gibt keinerlei kriminelle Motivation." Aktuell drohen Strafanzeigen wegen Hausfriedensbruchs, Diebstahls oder Sachbeschädigung.

Lebensmittel liegen in einer Bio-Mülltonne.

Lebensmittel liegen in einer Bio-Mülltonne.

Hamburgs Justizsenator Till Steffen (Grüne) will das nun ändern - und hat zur Lübecker Konferenz einen entsprechenden Antrag mitgebracht. Es könne nicht sein, dass tonnenweise Lebensmittel weggeworfen und Menschen bestraft würden, die sich gegen die Lebensmittelverschwendung einsetzten, hieß es zuvor aus hanseatischen Behördenkreisen. Alternativ wolle Steffen ein Wegwerfverbot für Supermärkte vorschlagen.

Darauf könnte er sich wohl mit seinem baden-württembergischen Kollegen Guido Wolf verständigen. Zwar hält es der CDU-Politiker für ein "völlig falsches Signal", das Containern zu legalisieren. "Auch ein guter Zweck heiligt keine strafbaren Mittel", sagte er dem SWR. Er befürworte jedoch Regelungen, die der Verschwendung entgegenwirkten, etwa eine Verpflichtung der Supermärkte, noch genießbare Lebensmittel an Tafeln abzugeben.

13 Millionen Tonnen Lebensmittel in Deutschland jährlich weggeworfen

Fakt ist: Jährlich landen laut einer Studie der Universität Stuttgart in Deutschland fast 13 Millionen Tonnen Lebensmittel im Müll. Die Umweltorganisation WWF geht gar von mehr als 18 Millionen Tonnen aus. Für den Großteil (knapp sieben Millionen Tonnen) sind laut den Stuttgarter Berechnungen zwar Privathaushalte verantwortlich. Der Handels-Anteil ist mit 0,49 Millionen Tonnen deutlich geringer - aber: Rund 84 Prozent davon werden von den Wissenschaftlern als "vermeidbar" eingestuft.

Die Legalisierung des Containerns löse das Problem der Lebensmittelverschwendung nicht, sagt Thüringens Justizminister Dieter Lauinger (Grüne) vor diesem Hintergrund. Er teile aber die Einschätzung Till Steffens, "dass man ernsthaft darüber nachdenken sollte, ob das strafbar sein muss", so der Minister. "Wir sind uns einig, dass es ein Skandal ist, gegen den man etwas tun muss - dass jährlich in Deutschland Millionen von Tonnen von Lebensmitteln im Müll landen."

Frankreich und Tschechien: Verbot der Lebensmittelverschwendung

Und so plädiert auch Lauinger für eine Lösung nach französischem Modell: Im Nachbarland sind Supermärkte mit einer Fläche von mehr als 400 Quadratmetern seit Februar 2016 dazu verpflichtet, eine Partnerschaft mit einer Hilfsorganisation einzugehen, die unverkaufte Lebensmittel abnimmt.

Bei einem Verstoß drohen 4.500 Euro Strafe - pro Tag, an dem Nahrungsmittel verbotenerweise entsorgt werden. Gleichzeitig wird belohnt, wer sich an die Regeln hält: Für jede Spende werden 60 Prozent des Warenwertes von der Steuer abgezogen. 93 Prozent der Supermärkte machen mit.

Auch in Tschechien müssen große Läden seit rund einem Jahr Waren, die sie nicht mehr verkaufen wollen oder können, Hilfsorganisationen kostenlos zur Verfügung stellen. Bei Verstößen drohen horrende Geldstrafen: bis zu 390.000 Euro.

Verschwendet: Obst-, Gemüse- und andere Lebensmittelabfälle lagern in einer Bio-Aufbereitungsanlage. In Deutschland landen viele Lebensmittel, die noch genießbar wären, im Müll.

Verschwendet: Obst-, Gemüse- und andere Lebensmittelabfälle lagern in einer Bio-Aufbereitungsanlage. In Deutschland landen viele Lebensmittel, die noch genießbar wären, im Müll.

Petition für Gesetzesänderung gestartet

Zurück zu Caro und Franzi aus Olching: Die Studentinnen haben im Internet eine Petition mit dem Namen "Containern ist kein Verbrechen! Wir brauchen eine Gesetzesänderung!" gestartet und dafür 133.000 Unterstützer gefunden. Geplant war, die Unterschriftenliste in Lübeck Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) zu übergeben.

Dieser sagte der AZ zum Thema Containern: "Lebensmittelverschwendung muss, so gut es geht, vermieden werden." Allerdings handle es sich dabei um eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die nicht durch Änderungen im Strafrecht zu erreichen sei. "Ziel muss sein, dass Lebensmittel gar nicht erst in Abfallcontainern landen."

Zudem gab Eisenreich zu bedenken, "dass der Verzehr von Lebensmitteln aus Abfallcontainern mit ernsten Gesundheitsgefahren verbunden sein kann, da nicht alle entsorgten Lebensmittel - etwa solche, die gekühlt werden müssen - noch genießbar sind."

Die Ergebnisse der Konferenz sollen morgen bekannt gegeben werden.

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