Münchener Kammerorchester

Ein Neuanfang im Gasteig


Die Köpfe des Münchener Kammerorchesters: Geschäftsführer Florian Ganslmeier (links) mit dem Chefdirigenten Clemens Schuldt.

Die Köpfe des Münchener Kammerorchesters: Geschäftsführer Florian Ganslmeier (links) mit dem Chefdirigenten Clemens Schuldt.

Von Robert Braunmüller / TV/Medien

Das Münchener Kammerorchester wagt am Freitag im Carl-Orff-Saal einen Blick in die Zukunft des Gasteig

Der Neuanfang ist symbolträchtig: "I Can't Breathe" heißt das Stück für Trompete solo, mit dem das Münchener Kammerorchester am Freitag sein erstes Konzert nach der Corona-Pause beginnt. Der österreichische Komponist Georg Friedrich Haas erinnert in dem Werk an den Schwarzen Eric Gardner, der 2014 in New York ein Opfer rassistischer Polizeigewalt wurde. Dessen letzten Worte wurden zum Motto der Bürgerrechtsbewegung "Black Lives Matter" - ein nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd derzeit leider wieder aktuelles Thema.

"Wir dachten an einen vieldeutigen Anfang, wenn das Publikum dazu durch den Mundschutz atmen muss", sagt Florian Ganslmeier, der Geschäftsführer des Münchener Kammerorchesters. Das ist nach den aktuellen Regeln nicht notwendig. Aber natürlich lässt sich der Titel von Haas' auch als Anspielung auf auch den einsamen Erstickungstod lesen, mit dem eine Corona-Infektion enden kann. Oder im weiteren Sinn auf die schwierige Situation von Künstlern, die von Auftritten leben, derzeit aber nicht auftreten können.

Ein Boulez-Saal für München

Clemens Schuldt, der Chefdirigent des Orchesters, hat für dieses Konzert im Gasteig Werke zusammengestellt, die den Themenbereich Kommunikation und Kommunikationslosigkeit umkreisen. "Das zweite Stück, ein Trio von Henryk Górecki, verlangt entfernt voneinander spielende Streicher. ,Quiet City', ein Trio für Trompete, Englischhorn und Streicher stellt in einer städtischen Pastorale die schweigende Mehrheit dar."

Das Konzert ist zugleich auch als Vision für die Zukunft des städtischen Kulturzentrums am Isarhochufer gedacht: Nach kürzlich abgeschlossener Planung der im Herbst noch vom Stadtrat zu verabschiedenden Generalsanierung soll das Münchener Kammerorchester hier eine eigene experimentelle Reihe mit Ausblicken in Richtung Tanz, Theater und Film durchführen.

"Angesichts dessen, was der neue Boulez-Saal in Berlin bewegt, ist die Sanierung des Gasteig eine Riesen-Chance", sagt Ganslmeier. Voraussetzung dafür wäre aber eine Umwandlung in eine multifunktionale Bühne, auf der eine Brücke zwischen den etablierten Institutionen und der Freien Szene geschlagen werden soll.

Wegfallende Einnahmen

Das Münchener Kammerorchester steht zwischen der staatsnahen und staatsfernen Kultur: Es wird von einem Verein getragen, wegen seines Engagements für die Musik der Gegenwart aber auch zu gleichen Teilen vom Freistaat und der Landeshauptstadt gefördert. Die öffentlichen Gelder - etwas mehr als die Hälfte des Etats - sichern die Personalkosten, das Programm wird über Gastspiele, den freien Kartenverkauf und Abonnements finanziert.

Da ist in den vergangenen drei Monaten vieles weggefallen, darunter mehrere Abo-Konzerte im Prinzregententheater, Auftritte in Köln, beim Würzburger Mozartfest und auf Herrenchiemsee sowie Aufführungsserien der Oper "Mignon" von Ambroise Thomas mit dem Opernstudio der Bayerischen Staatsoper und die Wiederaufnahme von Haydns "Orlando paladino" unter Ivor Bolton bei den ausgefallenen Festspielen im Prinzregententheater.

Für die beiden Opern gab es - in Absprache mit dem Kunstministerium - ein Ausfallhonorar von 40 Prozent. Aber das konnte nicht verhindern, dass die bereits unter Tarif beschäftigten Musiker in Kurzarbeit geschickt wurden. Der Verlust "geht auf die Million zu", sagt Ganslmeier. Schuldt hat eine Opernproduktion in England, diverse Gastdirigate und eine Tournee durch Australien und Neuseeland verloren. "Meine ganzen freischaffenden Engagements sind weggefallen. "Ich bin froh, dass ich das auf 90 Prozent aufgestockte Gehalt als künstlerischer Leiter bekomme."

Viel Zeit

Schuldt hat in der freien Zeit neue Partituren studiert, Bücher gelesen, Zeit mit seiner Tochter verbracht und mit dem Orchester über Zukunftsszenarien nachgedacht. Der Chefdirigent und seine 28 festangestellten Streicher sind sich bewusst, dass ihre Situation im Vergleich zu freien Musikern vergleichsweise komfortabel ist: Die in Konzerten mitwirkenden Bläser kommen entweder aus anderen Orchestern oder arbeiten freiberuflich. 18 von ihnen konnten nach einer Versteigerung von Grafiken mit jeweils 1000 Euro unterstützt werden.

Im September hätte das Orchester beim ARD-Musikwettbewerb mitgewirkt. Aber auch der fällt dieses Jahr aus. "Das Einfachste wäre, nichts zu tun, weil Konzerte im Moment defizitär sind. Damit würden wir aber unseren Auftrag nicht mehr erfüllen", sagt Ganslmeier. Daher hat sich das Orchester entschlossen, einen Prolog zur kommenden Saison mit sechs Konzerten in der Sendlinger Himmelfahrtskirche zu veranstalten.

Der Dirigent Omer Meir Wellber eröffnet am 30. August die Reihe, in der Musik des 20. Jahrhunderts mit Werken von Haydn und Vivaldi zusammentrifft. Weitere Termine leiten Schuldt, Enrico Onofri und der Cellist Nicolas Altstaedt. Die mit dem Orchester verbundenen Bläser spielen Mozarts "Gran Partita" in der Kirche, die wegen ihrer guten Akustik öfter für Plattenaufnahmen genutzt wird. Nach den derzeit geltenden Abstandsregeln fasst sie 100 Besucher, was bei den üblichen Preisen keine kostendeckenden Konzerte zulässt.

Mit einem Plan B

Die mit dem Motto "Nachbarn" überschriebene Saison im Prinzregententheater beginnt der Chefdirigent am 15. Oktober mit der Uraufführung von Beat Furrers Violinkonzert. Solist ist der Geiger Ilya Gringolts. Wahrscheinlich wird die ursprünglich geplante "Pastorale" von Ludwig van Beethoven durch eine kleiner besetzte Symphonie von Mozart ersetzt.

Weitere Konzerte leiten Jörg Widmann, Duncan Ward und John Storgards. Als Solisten werden Patricia Kopatchinskja, Nils Mönkemeyer und Piotr Anderzeweski erwartet. Die Nachtmusiken in der Pinakothek der Moderne werden Bryce Dessner, Chaya Czernowin und Mieczyslaw Weinberg gewidmet.

Im Prinzregententheater, wo das Orchester in der Regel vor dem Eisernen Vorhang spielt, wäre als Plan B auch die Nutzung des Konzertzimmers auf der Bühne möglich, was größere Besetzungen erlaubt. Einbrüche bei den Abonnements gibt es nicht: Es ist eher so, dass treue Einzelkartenkäufer durch die Krise zu Dauerbesuchern wurden. Wenn alles klappt und die Programme an einem Abend zweimal gespielt werden, lassen sich mit Ächzen und einem guten Hygienekonzept alle Abonnenten im Prinzregententheater unterbringen.

Das Programm "Quiet City" am Freitag, 20 Uhr im Carl-Orff-Saal des Gasteig. Restkarten zu 25 Euro über die Homepage des Orchesters www.m-k-o.eu. Dort auch Infos zur neuen Saison

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Der Carl-Orff-Saal im Gasteig ist eigentlich wegen seiner Akustik bei Musikern unbeliebt. Die Guckkastenbühne ist für Theater nicht tief genug, technisch eher mäßig ausgestattet und für zeitgenössische Formen wenig geeignet. Im Rahmen der vom Stadtrat noch nicht beschlossenen Sanierung soll der Raum eine variable Bühnenfläche erhalten, ein Teil der festen Bestuhlung wird ebenfalls veränderbar sein.

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Das Foyer des Carl-Orff-Saals.

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Der Carl-Orff-Saal im Gasteig ist eigentlich wegen seiner Akustik bei Musikern unbeliebt. Die Guckkastenbühne ist für Theater nicht tief genug, technisch eher mäßig ausgestattet und für zeitgenössische Formen wenig geeignet. Im Rahmen der vom Stadtrat noch nicht beschlossenen Sanierung soll der Raum eine variable Bühnenfläche erhalten, ein Teil der festen Bestuhlung wird ebenfalls veränderbar sein.