Kultur

Dissonanz in der Klangkathedrale

Markus Söder kassiert bei der Feier zum 500. Geburtstag des Staatsorchesters höhnischen Beifall im Nationaltheater


Vladimir Jurowski dirigiert die "Alpensinfonie" von Richard Strauss.

Vladimir Jurowski dirigiert die "Alpensinfonie" von Richard Strauss.

Von Robert Braunmüller

Erste Unruhe machte sich breit, als der Ministerpräsident auf den FC Bayern zu sprechen kam. Dann wollte Markus Söder in seiner Videobotschaft auf den Ewigkeitswert der Kultur hinaus. Dafür bemühte er den im Wahljahr eher ungeschickten Vergleich, dass "Ministerpräsidenten jederzeit ersetzt werden können". Sogleich brandete höhnischer Beifall im Nationaltheater auf, wo gestern in einer Matinee der 500. Geburtstag des Bayerischen Staatsorchesters mit einem Festakt gefeiert wurde. Sekundenweise war Söder überhaupt nicht mehr zu verstehen. Und zuletzt rief noch jemand laut und vernehmbar das Wort "Peinlich!" in den Saal.

In der Kulturszene gibt es einen nachhallenden Groll wegen der Schließungen in der Corona-Zeit und der Bevorzugung des Fußballs im EM-Sommer. Orchester sind zwar auch Mannschaften, aber es ist vor diesem Hintergrund eher ein Eigentor, wenn ein nicht besonders kulturaffiner Fußballfan im Nationaltheater einen in München nur mäßig beliebten Verein erwähnt. Und bei einem Clubberer ist das auch nur so mäßig glaubwürdig.

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Das ausverkaufte Nationaltheater beim Festakt zum 500. Geburtstag des Bayerischen Staatsorchesters-

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Bayerns Kunstminister Markus Blume mit Kulturstaatsministerin Claudia Roth und seinem Vorgänger Ludwig Spaenle beim Empfang nach dem Konzert im Nationaltheater.

Auch die übrigen Redner glitten nicht restlos sicher über das Parkett. Der Intendant Serge Dorny sprach in hohem Pathos von der "Kathedrale der Musikgeschichte", an der das Orchester mitgebaut habe, Landtagspräsidentin Ilse Aigner musste vom Publikum darauf aufmerksam gemacht werden, dass das Staatsorchester nicht bloß ein halbes Jahrhundert, sondern schon ein halbes Jahrtausend alt sei. Dann lobte sie in einer wackligen Rede den Mannschaftsgeist und die Internationalität des Orchesters als gesellschaftliches Vorbild.

Danach begrüßte Kunstminister Markus Blume zum dritten Mal die anwesenden Vertreter der Glaubensgemeinschaften. Obwohl auch er mit den üblichen, leicht verschlissenen Superlativen Bayerns Exzellenz unter den Wittelsbachern und den Sonnenkönigen der CSU pries, traf er als einziger den richtigen Ton. Er streifte auch das nur ein paar Jahre ältere Reinheitsgebot und zitierte in Richtung auf die geistlichen Herrschaften das schöne Wort, dass zu viel Weihrauch die Heiligen schwärze.

Historisch bewussten Opernbesuchern könnte einfallen, dass das letzte Jubiläum des Bayerischen Staatsorchesters erst 1980 gefeiert wurde: als 450. Geburtstag. Neuerdings wird die Gründung von 1530 auf 1523 vordatiert. In diesem Jahr engagierte Herzog Wilhelm IV. einige Musiker der aufgelösten Hofkapelle des Kaisers Maximilian I. engagierte, darunter den Sänger und Komponisten Ludwig Senfl.

Von diesem war an diesem Vormittag auch ein kurzer Vokalsatz zu hören, interpretiert von Blechbläsern. Auch Orlando di Lasso wurde kurz gewürdigt. Den musikalischen Segen spendeten aber - wie üblich - die Hausgötter Richard Wagner und Richard Strauss, während Mozart (wie Söder) durch Abwesenheit glänzte.

Vladimir Jurowski eröffnete den Festakt mit dem forsch vorwärtsdrängenden Vorspiel zum ersten Aufzug der "Meistersinger von Nürnberg": weniger als Festmusik, mehr als Komödien-Vorspiel und insofern passend zum unmittelbar anschließenden Video-Auftritt des bayerischen Ministerpräsidenten.

Den Schwerpunkt bildete die "Alpensinfonie". Der Bayerische Generalmusikdirektor versteht dieses riesig besetzte Werk als eine Art "Konzert für Orchester", das klangliche Extreme auslotet und das virtuose Zusammenspiel der Instrumentengruppen vorführt. Der Zugriff ist eher nüchtern - ähnlich wie beim Komponisten selbst, der das Riesenwerk 1942 mit dem Staatsorchester aufgenommen hat und sorgt für maximale Transparenz.

Beim Blech-Pathos auf dem Gipfel hält sich Jurowski nicht lange auf. Er beeilte sich - gewarnt von drohenden Tuben-Tönen - noch vor dem aufziehenden Gewitter rasch ins Tal zu kommen. Das ging nicht ohne Stolpern: Die Holzbläser stöhnten nach der Anstrengung überlaut, abschließend gab's ein paar Wackler im Blech.

Allerdings sind Festakte dieser Art selten Orte musikalischer Höchstleistungen. Die mag's dann im Feierjahr geben, wenn die drei ehemaligen Generalmusikdirektoren zurückkehren (siehe Kasten) und der gegenwärtige Musikchef mit seinem Orchester in der Isarphilharmonie gastiert und auf Europatournee geht.

Politiker mögen aus dem Festakt lernen: Wenn man schon als nicht besonders kulturaffin gilt und persönlich nicht erscheinen kann, bleibt man besser ganz fern. Bei einer Videobotschaft ist die Hemmschwelle für Proteste auch bei einem sehr gesetzten und festlich gestimmten Publikum ausgesprochen niedrig. Aber die Wahlen sind erst im Herbst. Ob Opern- und Konzertbesucher da den Ausschlag geben?

Der musikalische Teil der Matinee wird am 9. und 10. Januar um 20 Uhr als Akademiekonzert wiederholt. Auf dem Programm steht außerdem die Uraufführung eines neuen Orchesterwerks von Brett Dean.