Bayern

Frauenärztin hilft Opfern von Beschneidungen: Nun verliert sie ihre Arztpraxis

Die Frauenärztin Eiman Tahir behandelt Opfer weiblicher Genitalverstümmelung. Für viele ist sie die einzige Anlaufstelle, doch nun steht sie vor dem Aus: Ihr Mietvertrag wurde gekündigt. Bis Anfang Mai braucht sie neue Räumlichkeiten.


Eiman Tahir in ihrer Praxis. Für Gespräche mit ihren Patientinnen nimmt sie sich viel Zeit, denn viele von ihnen sind traumatisiert. Doch nun muss die Ärztin ihre Behandlungsräume verlassen.

Eiman Tahir in ihrer Praxis. Für Gespräche mit ihren Patientinnen nimmt sie sich viel Zeit, denn viele von ihnen sind traumatisiert. Doch nun muss die Ärztin ihre Behandlungsräume verlassen.

Von Anna-Maria Salmen

München - Als Gynäkologin Eiman Tahir die Patientin untersucht, bemerkt sie eine riesige Brandnarbe, die sich über fast das gesamte Gesäß zieht. Darauf angesprochen, berichtet die Frau von ihrer grausamen Erfahrung: Als Kind wurde sie Opfer weiblicher Genitalverstümmelung. Während der entwürdigenden Prozedur versagten ihr angesichts der Schmerzen die Beine, sodass sie mit dem Gesäß in das Feuer fiel, das in dem Raum brannte.

Bei der Geschichte handelt es sich um keinen Einzelfall, wie Tahir erzählt. Jeden Tag behandelt sie nach eigener Aussage in ihrer Praxis am Stachus Opfer von Genitalverstümmelung.

Bis Anfang Mai muss die Ärztin neue Räumlichkeiten gefunden haben

Ein Drittel ihrer Patientinnen ist beschnitten, schätzt sie. Tahir, die aus dem Sudan stammt und in Deutschland Medizin studiert hat, gilt als Spezialistin für die Beschwerden, mit denen die Frauen zu kämpfen haben.

Nun jedoch ist diese einzigartige Anlaufstelle in München bedroht: Tahirs Vermieter hat den Vertrag gekündigt, die Praxis steht vor dem Aus. Wenn sie bis Anfang Mai keine neuen Räumlichkeiten findet, steht die Frauenärztin auf der Straße - und mit ihr Tausende Betroffene.

Rund 25 Prozent der Mädchen überleben eine Beschneidung nicht

Es klingt wie ein archaisches Ritual, doch noch immer werden junge Mädchen in Ländern wie Somalia, Ägypten, Äthiopien und Indonesien beschnitten. Um ihre vermeintliche Reinheit sicherzustellen, wird ihnen die Klitoris entfernt, die Schamlippen ausgeschabt und die Vagina zugenäht - meist ohne Betäubung und unter unhygienischen Bedingungen. Nach Schätzung der Weltgesundheitsorganisation überleben rund 25 Prozent der Mädchen den Eingriff oder die Folgen nicht.

Beschnittene Frauen haben mit gravierenden Beschwerden zu kämpfen, erläutert Tahir: Schmerzen beim Wasserlassen oder Probleme bei der Geburt kämen häufig vor. Zudem sei das sexuelle Empfinden bei vielen völlig zerstört. "Sie empfinden überhaupt nichts beim Geschlechtsverkehr - wenn dann nur Schmerz, weil die Narbe empfindlich ist."

Auch in München gibt es zahlreiche Opfer von Genitalverstümmelung

Auch in München gibt es zahlreiche Betroffene, wie Tahir sagt. Es handelt sich meist um Geflüchtete, deren Töchter aufgrund der tief verankerten Tradition ebenfalls von der Genitalverstümmelung bedroht sind.

Dass die Praktik in Deutschland strafbar ist, wissen viele zunächst nicht. Tahir klärt sie dann auf: "Wenn ich bei einer beschnittenen, schwangeren Frau sehe, dass sie ein Mädchen erwartet, sage ich ihr ganz klar: Du lässt deine Tochter nicht beschneiden, sonst rufe ich die Polizei."

Viele beschnittene Frauen haben nur Tahir als Ansprechpartnerin

Viele beschnittene Frauen wüssten ohne Tahir nicht, wohin sie sich mit ihren Beschwerden wenden sollen. Denn in anderen Frauenarzt-Praxen würden sie häufig abgewiesen. "Die Problematik verunsichert viele Ärzte, die sich nicht auskennen", sagt die Ärztin. Ein weiterer Faktor: Die Gynäkologin nimmt sich für ihre Patientinnen deutlich mehr Zeit, als nach kassenärztlichen Standards üblich wäre.

Das ist auch nötig, sagt sie: Die Frauen seien traumatisiert, müssten Vertrauen aufbauen und von ihren grausamen Erfahrungen erzählen können. "Es ist unglaublich, was sie erlebt haben."

Die Aktivistin Fadumo Korn sagt: "Niemand versteht diese Frauen so gut wie Dr. Tahir"

Fadumo Korn kennt die Problematik der Genitalverstümmelung selbst. Die aus Somalia stammende Münchnerin wurde als Siebenjährige in ihrer Heimat Opfer von Beschneidung und setzt sich nun für andere betroffene Frauen ein.

Gerade beim Gang zum Frauenarzt kann das Trauma bei vielen wieder hochkommen, weiß sie: Wenn die Frauen sich entblößt und mit gespreizten Beinen setzen sollen, "spielt der Körper automatisch die Bilder aus der Erinnerung ab".

Eine Frau, die Korn vor einiger Zeit unterstützt hat, sei durch diese überwältigende Belastung sogar im Behandlungszimmer ohnmächtig geworden. Es braucht also viel Zeit und Einfühlungsvermögen, um den Patientinnen die nötige Sicherheit zu geben. "Niemand versteht diese Frauen so gut wie Dr. Tahir", sagt Fadumo Korn.

Die Ärztin kann sich unter anderem auf Arabisch mit ihren Patientinnen unterhalten und versteht die Problematik auch ohne viele Worte, wie sie sagt. "Die Praxis ist für viele wie ein Zuhause", so Tahir.

Eiman Tahir versteht nicht, warum ihr der Mietvertrag gekündigt wurde

Dass ihr Mietvertrag nun gekündigt wurde, kann sie nicht verstehen. Erst vor wenigen Jahren habe sie die Räumlichkeiten für rund 150 000 Euro renovieren lassen, wie sie erzählt.

Zum Vermieter habe sie immer ein gutes Verhältnis gehabt. "Aber jetzt wollte er sich nicht äußern. Die Kommunikation läuft nur über seine Anwälte."

Es ist nicht die erste Hürde, mit der die Gynäkologin zu kämpfen hat. Erst vor wenigen Monaten forderte die Krankenkasse mehr als 130 000 Euro Regress, weil durch die zeitaufwendigere Behandlung der beschnittenen Frauen höhere Kosten entstanden waren.

Auf Facebook suchen Unterstützter mit ihr nach einer Lösung

Nur dank einer von Korn organisierten Spendenaktion konnte die hohe Summe beglichen und die Praxis gerettet werden.

Auch jetzt hoffen Tahir und Korn auf Unterstützung. Korn hat auf Facebook einen Hilferuf verbreitet: Wer jemanden kennt, der Räumlichkeiten vermietet oder eine bestehende Praxis teilen kann, könnte entscheidend dazu beitragen, dass beschnittene Frauen weiterhin die dringend nötige Hilfe bekommen.